Antidiskriminierung, Hoppalas und politische Korrektheit
Vor zwei Wochen ist in einem hochschuldidaktischen Seminar die Frage gestellt worden, was man tun soll, wenn ein Student im Hochsommer in der Badehose im Hörsaal sitzt. Ein paar Teilnehmer*innen haben laut gelacht und gemeint, das würden sie nicht „packen“. Sie würden da als Lehrende*r nicht ernst bleiben können. Andere sind ernster geblieben und haben sich empört, dass „Mann“ so nicht an die Uni zu kommen hat und, dass es ja wohl eine Hausordnung irgendwo gäbe. Ich habe dann die Frage in den Raum gestellt, wie es ihnen allen als Lehrende damit gehen würde, wenn eine Frau im Bikini im Hörsaal auftauchen würde. Da hat sich die Diskussionsatmosphäre schlagartig verändert. Alle wurden stiller und nachdenklicher und die Frage kam auf, was denn wie zu wem gesagt werden kann. Und dabei haben wir nur über die Geschlechter männlich und weiblich gesprochen und somit eigentlich nur begonnen an der Oberfläche zu kratzen.
Ich selbst bin der Meinung, dass ich Badebekleidung, geschlechtsunabhängig, in meinem Hörsaal aushalten muss. Es liegt nicht in meinem Ermessen darüber zu entscheiden, was wer anhat. Für mich hat es keine Folgen, wie jemand begleidet ist und ich fühle mich nicht in meiner Leistungsfähigkeit beeinflusst. Kommt meine Lehrkollegin im Bikini oder mein Lehrkollege in der Badehose, dann habe ich kein Problem mit ihr bzw. ihm darüber zu sprechen. Das liegt auch daran, dass wir keinerlei bzw. kaum Macht aufeinander ausüben.
Diese Diskussion streift u.a. Verschleierungsdebatten und mündet in einem Antidisrkiminierungsdiskurs. In meinen (hochschul-)didaktischen Weiterbildungen kann ich in meiner Lehrendenrolle gut über verschiedene (Lehr-)praktiken sprechen, in denen Diskriminierung erfolgen würde und wie sie zu vermeiden wären. Leicht ist es im Rahmen einer Rollendebatte, bei der die Studentinnen einer Laborübung häufiger den Laborplatz aufräumen als in dem Fall die Studenten (Bsp. Gindl 2013, Podcast). Da ist handeln einfach, weil alle gleichermaßen in die Verantwortung genommen werden können, über den eigentlichen Inhalt, das Aufräumen eines Laborplatzes. Recht deutliche, weitere „Hoppalas“ – ich denke der Begriff soll nicht herunterspielen, dass wir als Lehrende manchmal unabsichtlich diskriminieren – werden auf der Webseite der Karl-Franzens-Universität graz in einem sehr anschaulichen Video dargestellt.
Gleichzeitig kann ich bisher nicht wirklich tiefer in die Themtik eindringen, weil ich merke, dass nicht alle Kursteilnehmenden bereit sind, sich emotional mit den Themen auseinander zu setzen. Bei den Recherchen für diesen Beitrag ist mir eine mögliche Erklärung für das Thema Antirassissmus untergekommen. Es fällt uns schwer, unsere Emotionen als immer noch priviligierte Gruppe in einer von Menschen mit weißer Hautfarbe dominierten Gesellschaft zu greifen und zu benennen. Diese Art von Reflexion ist herausfordernd und geht an die Substanz des Ich-Seins. Allein beim Durchlesen des spannenden Artikels zum Thema „weiße Emotionen“ von Jule Bönkost ist mir „anders“ geworden. Das alles ist nicht so leicht zu verdauen. Eine zweite Erklärung liegt darin, dass viele Menschen sich einschüchtern lassen von Ansprüchen aus der politischen Korrektheit. Es wäre in der Tat schade, wenn Menschen nicht mehr über solche Themen sprechen, weil sie Angst haben, etwas falsches zu sagen. Politische Korrektheit kann allerdings auch als Überbegriff gelesen werden, der antidiskriminierende Begriffe zur Verfügung stellt [1]. Das soll das Gespräch über Diskriminierung und Priveligierung sowie Macht erleichtern.
Trotzdem und vielleicht auch deswegen begeistere ich mich für die These, dass Gender- und Diversity-Kompetenz (eine gängige Begrifflichkeit in der Hochschullehre, die wenn sie gut mit Inhalt gefüllt ist Antidiskriminierungsansätze beinhaltet) auch auf konkretem Wissen und Informationen beruht, die eine Lehrperson haben sollte. Dazu gehört auch die Kenntnis von antidiskriminierenden Begrifflichkeiten. Darum habe ich hier eine kleine Liste an interessanten und weiterführenden Ressourcen erstellt.
- Das hochschuldidaktische Weiterbildungsnetzwerk profilehreplus bietet im kommenden Sommersemester ein paar thematisch passende Weiterbildungen in Deutschland an. Viele österreichische Universitäten bieten außerdem auch interne Weiterbildungen für ihre Mitarbeiter*innen an.
- Das vom Springer-Verlag herausgegebene Werk Praxishandbuch Habitussensibilität und Diversität in der Hochschullehre bietet verschiedene Perspektiven und viele Begifflichkeiten für die Diskussion.
- Der US-Amerikanische Podcast „Teaching in higher ed“ befasst sich in Folge 147 auf eine sehr ehrliche und selbstreflexive Art mit racial identity in the classroom. Eine analytische Position zum Thema Inklusion und Diversität wird in Folge 193 eingenommen, wobei aufgerufen wird, die eigene Defensive aufzugeben, um an einer Diskussion teilnehmen zu können. Mir selbst steht das Reinhören in Folge 214 noch bevor, die heißt „On not Affirming our Values“ – dieser Titel macht mich sehr neugierig, weil er nach Loslassen und Selbstkritik klingt.
- Die Handreichung in Textform zu diskriminierungskritischer Lehre der Humboldt Universität zu Berlin bietet eine praxisorientierte Möglichkeit die eigene Lehre zu reflektieren und zu verändern.
Meine persönliche größte Sorge als Lehrende liegt tatsächlich auch darin, dass ich eine Studentin oder einen Studenten (unabsichtlich) diskriminiere. Allerdings dürfe diese Sorge ansich schon dazu beitragen, dass ich sensibel agiere und auch reagiere. Wichtig für mich ist, dass die Sorge um politische Korrektheit keine Diskurslähmung nach sich zieht und diese antisdiskriminierende Sprache unbedingt in Lehrkontexten eingesetzt wird. Und falls mir doch ein „Hoppala“ passieren wird, im Sinne eines diskriminierenden Lehrmoments, werde ich mich dafür bei dem/den betroffenen Studierenden klar und aufrichtig entschuldigen. Wie im richtigen Leben.
Ich wünsche gute Lektüre, spannende Gespräche und reflexive Lehrmomente.
*Eine ganz tolle Ressource ist die Netflix-Serie „explained“. Hier wird in Folge 4 über politische Korrektheit gesprochen.
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