Perspektivenwechsel

Das vergangene Semester stand im Zeichen von „emergency remote teaching“. Dabei ist einerseits klar geworden, dass sehr viel mehr digitalisierte Lehr-Lernarrangements möglich sind, als häufig angenommen. Andererseits hat diese „Notfall-Lehre“ aber nicht nur zu positiven Lernerfahrungen bei den Studierenden geführt.

Die Herausforderungen der Studiernden betreffen zu Beginn die technologische Ausstattung. In einer Studie des Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung geht hervor, dass die Studierenden zwar mit Internetzugang und digitalem Endgerät sowie zusätzlichem Smartphone ausgestattet sind, jedoch genügt die Qualität der Internetverbindung den Ansprüchen digital gestütztem Lernen nur bei 38% der Studierenden.

In einem Gespräch mit Dr. Kurz Fink, Leiter der psychologischen Studierendenberatung haben wir über weitere Hürden bzw. Herausforderungen gesprochen, denen manche Studierenden am Lernort „Daheim“ begegnen. Angst war bei unserem Gespräch ein leitender Begriff. Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Angst haben, tendieren dazu Aufgaben vor sich her zu schieben. Es werden andere Tätigkeiten prioritär behandelt: Einkaufen, Putzen, im Internet surfen. Wenn der Tag dann vorbeigezogen ist, ohne sich um Lernaktivitäten zu kümmern entsteht Frust und häufig der Vorsatz am nächsten Tag das doppelte Pensum zu erledigen. Da ist aber nicht zuletzt aufgrund der eigenen Konzentrationsfähigkeit problematisch. Ein Mensch kann sich laut Dr. Fink ca. 20 Minuten am Stück gut auf eine Aufgabe konzentrieren. Wenn aber Druck entsteht, mehr zu leisten, beginnt ein Teufelskreis. Es wird mehr Zeit benötigt für weniger Fortschritt. Daraus kann erneut Angst entstehen, die entweder lähmt oder zu häufig ineffizienten, angestrengten Lernphasen.

Für dieses Problem rät Herr Fink den Studierenden, sich Lernpläne zu erstellen und sich zu Beginn weniger vorzunehmen – Aufgaben, die schaffbar sind. Weitere Tipps zur Unterstützung studentischer Lernkompetenzen werden im Beitrag Lernen lernen lehren angesprochen. Wichtig ist, Studierende, die von der Bildfläche „verschwinden“ oder „verloren gegangen sind“ zu kontaktieren und zu versuchen wieder mit ins Boot zu holen, wenn es die eigenen Zeitkapazitäten erlauben. Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass manche Studierende sich in Situationen befinden, die ein synchrones Studieren erschweren. Herr Fink rät Lehrenden, den Studierenden möglichst menschlich begegnen. Transparenz in Prozessen und Anforderungen in Form konkreter Aufgabenstellungen* und bevorstehenden Online-Prüfungen nehmen sehr viel Unsicherheit.

Auch Wünsche von Studierenden an die Lehrenden werden in dieser Diskussion laut:

  • Digital erstellte Inhalte und Lernmaterialien möglichst lang verfügbar machen
  • Asynchrone Teilnahme fördern
  • Mitteilen, dass und wie Fragen gestellt werden dürfen
  • Häufig gestellte Fragen veröffentlichen (FAQs)
  • Eine positive Fehlerkultur und möglichst viele Feedbackschleifen
  • Den Austausch zwischen den Studierenden ermöglichen bzw. fördern.

Ich persönlich bin begeistert, dass Studierende versuchen sich selbst als Lernende zu vertreten und Gelegenheiten wahrnehmen, um zu kommunizieren, was sie brauchen, um gut zu lernen**. Solche Gelegenheiten können wir als Lehrenden immer wieder schaffen. Alle, die sich noch in einem laufenden Semester befinden, können z.B. die Feedback-Fragen aus dem Beitrag Halbzeit-bittersüß nutzen.

Es ist nämlich nie zu spät für einen Perpektivenwechsel. Und das nächste Semester kommt bestimmt.

* Die Kunst der Aufgabenstellung wird im Beitrag Abschied von Wegwerfaufgaben genauer diskutiert.

**Weitere studentische Perspektiven im Beitrag des Forums für neue Medien: Digitale Lehre aus Studierendensicht. oder im Gespräch über Zwischenbilanzen des digitalen Sommersemesters der Plattform e-teaching.org.

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